Berlin
Berlin ist eine Reise wert. Ist das so?
Ich denke, es ist die Sichtweise, die uns Berlin lieben oder hassen lässt. Ich wohne jetzt seit März 2012 in unserer Bundeshauptstadt und habe so meine ganz eigenen Erfahrungen gesammelt. Ich möchte Euch kurz schildern, wie ich unsere Muddastadt kennen gelernt habe.
Kommt man aus einer kleinen 13.500-Seelen-Stadt wie Jever nach Berlin, wird man erst einmal erschlagen. Man sagt, New York sei die Stadt, die niemals schläft. Ich denke, Berlin ist das deutsche Pendant. Es ist wirklich vollkommen egal, wann man in Berlin irgendwohin hinfährt, es bewegt sich immer etwas. Culture, Cuisine und Cocktails sind allgegenwärtig. Langeweile ist hier undenkbar, Stillstand ausgeschlossen. Das "Jeversche Altstadtfest" findet man hier ganzjährig in Form von wöchentlichen Straßenfesten in den verschiedenen Kiezen.
Das ändert sich erst, wenn man die Randzonen der Stadt betritt. Dort läuft es etwas gemächlicher, aber keinesfalls beschaulich. Man hat wirklich das Gefühl, Berlins Betriebsamkeit ist über die gesamte Stadtfläche verbreitet.
Hermsdorf (dort hatten wir unsere erste Wohnung) oder Frohnau (dort wohnen wir jetzt) gehören sicherlich zu den etwas geruhsameren Bezirken, zumindest in den Nebenstraßen. Im Zentrum des jeweiligen Kiezes herrscht aber das gleiche Treiben, wie in der Innenstadt, nur eben proportional verschoben.
Faszinierend ist, wie der Berliner mit der Sonne bzw. dem guten Wetter umgeht. Straßencafés, Restaurants und Kneipen müssen ihre
Tische und Stühle nicht reinstellen. Sobald die Sonne durch die Wolken zwinkert, sind die Plätze besetzt, unabhängig von der
Jahreszeit.
Eine Überlegung wäre, man zöge einfach an Berlins Randgebiete, um dem ganzen Stress zu entgehen. Das funktioniert allerdings nur bedingt. Als erstes sollte man darauf achten, an seiner neuen Wohnung einen Parkplatz für sein Auto zu haben. Muss man sich den Straßenrand mit all' den anderen Anwohnern teilen, sucht man jeden Abend aufs Neue und muss ggf. einen kleinen Fußmarsch in Kauf nehmen. Benötigt man sein Kfz für die Fahrt zum Supermarkt, zum Friseur oder zur Arbeitsstätte, sind Staus und Parkplatzsuche unumgänglich. Da werden aus der reinen Fahrzeit von 20 Minuten gerne auch mal insgesamt 40 bis 60 Minuten für die Anfahrt.
In den Randgebieten sind größere Super- und Baumärkte eher rar. Man benötigt also wieder ein Auto und nicht jeder Markt ist mit genügend Parkraum ausgestattet. Es könnte spannend werden.
Glücklich sind die, die eine eigene Garage haben.
Ebenfalls im Angebot sind feste Stellplätze, deren monatliche Mietpreise nicht unbedingt von denen der Garagen abweichen. Es gibt eine, mit weißen Linien umrisse Fläche, die mit einem "P" und Deinem Kfz-Kennzeichen ausweist, dass es sich um Deinen Parkplatz handelt. Das hält aber andere Parkplatzsuchende nicht davon ab, ihn zu nutzen, wenn dein Auto gerade mal unterwegs ist. Obwohl man den Platz bezahlt, muss man immer wieder darum kämpfen. In Hermsdorf hatten wir so einen Stellplatz hinter dem Haus. In dem Wohnhaus gab es aber auch ein Restaurant und die Gäste wollten parken.
Glücklicherweise gibt es aber eine komfortable Alternative: öffentliche Verkehrsmittel.
Geniales Transportmittel. Mit U-Bahn, S-Bahn, Bus und Straßenbahn kommt man im 5- bis 10-Minuten-Takt (fast) überall hin. Nur im Speckgürtel von Berlin muss man sich manchmal mit einem 20-Minuten-Takt zufriedengeben. Grundsätzlich aber die nervenschonende Alternative. Nehmen wir ein Beispiel: von uns zum Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg morgens mit dem Auto 60 bis 80 Minuten, inkl. Parkplatzsuche, mit der S-Bahn 35 Minuten. Da fällt die Wahl doch nicht schwer - meint man.
Fahrzeiten der schienengeführten Fahrzeuge sind nicht vom Verkehrsaufkommen abhängig. Für die U-Bahn trifft das auch zu 99% zu. Bei der S-Bahn sieht das schon etwas anders aus. Signalstörungen und gestohlene Kupferkabel sind an der Tagesordnung. Somit kommen Verspätungen oder gar Ausfälle immer wieder vor. Es ist wirklich sinnvoll, sich morgens die Verkehrsnachrichten im Radio anzuhören, dann erfährt man nämlich den aktuellen Status aus erster Hand und kann sich darauf einstellen. Nehmen wir wieder das Beispiel mit der Fahrt zum Amtsgericht: fällt unsere S-Bahn S1 aus, fährt man von hier mit dem Bus nach Tegel und steigt dort in die U-Bahn. So werden aus 35 Minuten gerne auch mal 60 Minuten.
Sollten Baustellen eingerichtet und dadurch ganze Streckenabschnitte zeitweilig nicht bedient werden, tritt der Schienenersatzverkehr durch Busse auf den Plan. Jetzt möchte man am liebsten zu Hause bleiben.
Wie bereits erwähnt, ist die U-Bahn das verlässlichere Transportmittel, aber nicht überall findet man eine. Straßenbahnen,
im Osten der Stadt, sind zwar schienengeführt, aber durch rote Ampeln und Staus bedingt auch vom Verkehrsfluss abhängig. Busse sind wie
Autos: man sollte sie meiden, wenn man die Chance dazu hat.
Staus gehören zur Tagesordnung. Nicht nur auf den Autobahnen (A10, A100, A111, A115), sondern eigentlich auf allen Straßen. Zur rush hour sollte man entweder sein Ziel bereits erreicht haben, oder das Auto stehen lassen. Wollen wir z. B. Berlin in Richtung Süden verlassen, fahren wir spätestens um 6 Uhr los, denn eine halbe Stunde später wird's ungemütlich. Spätestens ab 7 Uhr herrscht auf den meisten Straßen stop and go.
In unserer abgeschiedenen Ecke in Frohnau bekommen wir von alledem nichts mit. Es reichen allerdings 3 Minuten Fahrzeit bis in die Ortsmitte, und man ist zumindest einem hohen Verkehrsaufkommen und der Parkplatzsuche hilflos ausgeliefert.
Man könnte meinen, Zebrastreifen ohne Lichtzeichenanlage sind für den Berliner Autofahrer heiliger Boden. Bereits viele Meter vorher wird abgebremst und sich an den Zebrastreifen herangetastet, selbst wenn der Bereich großzügig einsehbar und kein Fußgänger weit und breit zu sehen ist. Einige Autofahrer scheinen den Zebrastreifen auch mit einem Stopp-Schild gleichzustellen, denn sie bleiben auf jeden Fall davor stehen.
Im ersten Moment ist man über so viel Rücksichtnahme verwirrt, wenn dann aber doch Passanten auftauchen, wird einem plötzlich klar, warum Autofahrer so vorsichtig sind: Fußgänger betreten rücksichtslos den Zebrastreifen, ohne vorher nach links und rechts zu gucken. Gerade bei älteren Passanten muss damit gerechnet werden, dass sie den § 26 Abs. 1 der StVO erbarmungslos für sich in Anspruch nehmen:
An Fußgängerüberwegen haben Fahrzeuge, mit Ausnahme von Schienenfahrzeugen, den zu Fuß Gehenden sowie Fahrenden von Krankenfahrstühlen oder Rollstühlen, welche den Überweg erkennbar benutzen wollen, das Überqueren der Fahrbahn zu ermöglichen. Dann dürfen sie nur mit mäßiger Geschwindigkeit heranfahren; wenn nötig, müssen sie warten.
Niemals würde ein Passant einem Autofahrer die Vorfahrt gewähren, sei die Schlange der Fahrzeuge vor dem Zebrastreifen auch
noch so lang. Fußgänger sind die uneingeschränkten (und rücksichtslosen) Herrscher der Fußgängerüberwege.
Man könnte meinen, der Baum sei des Berliners höchstes Gut. Stehen Bäume auf seinem Grundstück, dann werden diese gehegt und gepflegt, bis dass der Tod sie scheidet. Daran ist natürlich nichts Verwerfliches zu finden, aber der Berliner nimmt es dabei auch in Kauf, ein ewiges Schattendasein zu fristen. Wie bereits erwähnt, wohnen wir in Frohnau quasi mitten im Wald. Hier gibt es viele Ein- und Mehrfamilienhäuser, in deren Wohnungen ganzjährig kaum Sonne dringt. Selbst in unserem Haus sind wir die Einzigen mit einer wirklich hellen Wohnung, nicht zuletzt aufgrund der Bauweise der Fenster. Die Bäume nehmen unendlich viel Licht und im Sommer ein sonniges Plätzchen zu finden, fällt schwer.
Trotzdem würde kein Hauseigentümer, auch der unsrige nicht, auf die Idee kommen, auch nur einen Baum zu opfern, sei er noch so schief gewachsen und nehme er auch noch so viel Licht. So haben wir bei unserer Wohnungssuche in 2013 wirklich schöne Wohnungen gefunden, die aufgrund ewigen Schattens leer stehen - und leer bleiben.
Auch auf unserem Grundstück gibt es den ein oder anderen Baum, der beim nächsten Sturm umzufallen droht und der anderen Bäumen Luft und Licht zum Wachsen nimmt. Der Eigentümer zeigt sich jedoch unnachgiebig: es wird kein Baum gefällt.
Eine Konsequenz dieser vielen Bäume ist dann im Herbst das Laub. Keine "Braune Tonne" ist in der Lage, diese Massen aufzunehmen, also
werden die verwelkten Blätter zu riesigen Laubhaufen am Straßenrand aufgeschichtet, die dann wochenlang auf ihre Entsorgung warten.